In the latest edition of the Austrian business magazin TREND: White-collar crime law experts Simone Petsche-Demmel and Andreas Pollak share their perspectives on a topical issue: the vast majority of investigations end without charges.

SIMONE PETSCHE­ DEMMEL: Gravierendes hat sich nicht verändert. Es zeigt sich aber, dass das Wirtschaftsstrafrecht für Unternehmen in der Praxis hohe Relevanz hat. Nicht nur als Hygienefaktor, was wichtig ist, sondern leider auch im Hinblick auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes in Bezug auf Investitionen, wie unsere Studie bestätigt.

ANDREAS POLLAK: Die Standortpolitik sollte aus diesem Grund danach trachten, dass Wirtschaftsstrafverfahren effizienter werden. Sie sollte realisieren, dass es sich nicht nur um ein justizpolitisches, sondern auch um ein wirtschaftspolitisches Thema handelt. Risiken, die sich aus dem Strafrecht ergeben, müssen für Betriebe besser einschätzbar werden.

Welche Rolle spielen Rechtssystem und Bürokratie generell für die Attraktivität eines Standortes?

PETSCHE: Strafrecht soll für Fair Play sorgen aber kein limitierender Faktor sein. Führen Strafrecht und Regulatorik dazu, dass mehr Ressourcen in die Verwaltung und die Compliance als ins unterneh­merische Handeln investiert werden müssen, dann haben wir ein Problem.

Weil die Bereitschaft, Risiko zu nehmen, abnimmt?

POLLAK: So würde ich das sehen. Wenn das Risiko des Scheiterns in Richtung strafrechtlicher Risiken erweitert wird, kann sich das zu Ungunsten von Investitionsentscheidungen auswirken. In der Studie haben gut 30 Prozent der Befragten das zumindest für manche Fälle bejaht. Da stellt sich die Frage, ob sich die Politik angesichts Wirtschaftswachstums im Promillebereich diese Verunsicherung leisten kann.

Ist das Wirtschaftsstrafrecht in Österreich zu rigide bzw. strenger als anderswo in Europa?

PETSCHE: Grundsätzlich glaube ich nicht, dass wir strenger sind. Diese Wahrnehmung beruht darauf, dass wir im Unterschied zur Mehrheit der EU­Länder das System der Verbandsverantwortlichkeit haben. Das heißt, dass nicht nur eine Person, sondern auch ein Unternehmen strafrechtlich verfolgt werden kann, was die Zahl potenziell Betroffener vervielfältigt. Das wurde 2006 eingeführt, ist aber in der Praxis erst jetzt richtig spürbar, weil wir erst den Umgang damit lernen müssen und viele Fragen in diesem Zusammenhang noch ungeklärt sind. Ein banales Beispiel: Der CEO eines belangten Unternehmens, dem persönlich nichts vorzuwerfen ist, gilt in einer Einvernahme automatisch als Beschuldigter.

Werden auch verschärfte ESG­Regeln, z. B. Umweltstrafrecht oder Lieferkettengesetz, zu einem rapiden Anstieg der Verfahren führen?

POLLAK: Eindeutig ja. Eine Ausweitung der Regeln wird mehr strafrechtliche Implikationen mit sich bringen – weil z. B. ein Unternehmen für ausländische Lieferanten oder Partner verantwortlich gemacht werden kann. Die aktuellen Projekte auf EU­Ebene werden auch zu einer Verschärfung der Umweltstrafgesetze führen. Und besonders für kleinere Unternehmen wird die zunehmende Komplexität zum Problem, weil sie schlicht nicht die Ressourcen haben, die für eine penible Einhaltung aller Regularien notwendig wären.

Ihr Befund: Sind die Gesetze oder deren Anwendung bzw. Auslegung das Problem?

POLLAK: Gerade Strafrecht kann und soll nicht alles im Detail regeln. Deswegen kommt es stark auf die Auslegung der Gesetze und auf die Verfahrensordnung an. Denn die meisten Verfahren führen ja zu keiner Anklage, sondern werden eingestellt. Aber der Weg bis zur Einstellung ist zu lange.

Wie ist die jüngste Verschärfung des Korruptionsstrafrechts zu bewerten?

PETSCHE: Es ist eine Verschärfung, sozusagen eine Lex Strache. Konkret ist es jetzt so, dass jemand nach dem Korruptionsstrafrecht auch für Handlungen im Vorfeld der Übernahme einer politischen Funktion verantwortlich gemacht werden kann auch wenn die Person zu diesem Zeitpunkt noch nicht Amtsträger war. Das ist eine rechtspolitische Entscheidung, die der Stimmung in der Bevölkerung entspricht.

Sie haben die hohe Quote an Verfahrenseinstellungen erwähnt. Sind Staatsanwälte zu schnell mit einem Anfangsverdacht zur Stelle?

POLLAK: Es ist auch eine Wertung des Gesetzgebers, der keine sehr hohe Schwelle für einen Anfangsverdacht festlegt. Und nach unserem Recht muss alles ermittelt werden, was diese Schwelle überschreitet. Es gibt keine klare Priorisierung, wie man sie vielleicht aus US­ Filmen kennt. Andererseits ist gesetzlich auch nicht sehr konkret festgelegt, was ein Anfangsverdacht ist. Eine gewisse Zurückhaltung der Staatsanwaltschaften könnte zu einer wesentlichen Einschränkung der Verfahren führen. Der Eindruck in der Öffentlichkeit, dass viele Lappalien ermittelt werden, ist kein Zufall.

Als Strafverteidiger begrüßen Sie wohl die Entscheidung, dass Staatsanwälte Mobiltelefone jetzt nur mehr auf richterlichen Beschluss abnehmen dürfen?

PETSCHE: Ja, weil sich unser Leben grundlegend geändert hat und sich auf Mobiltelefonen viel mehr befindet, als braucht für die Zukunft noch weitreichendere Lösungen, wenn ich mit vorstelle, welche Daten durch den Einsatz künstlicher Intelligenz in zwei, drei Jahren noch auf unseren Handys gespeichert sein werden. Es wird Richter brauchen, die Anträge anders, als es in der Praxis jetzt der Fall ist inhaltlich sehr sorgfältig prüfen, weil die Eingriffstiefe in das Privatleben exponentiell wächst.

Woran liegt die von Ihnen kritisierte lange Verfahrensdauer? An mangelnden Ressourcen, wie die Justiz argumentiert, oder hat das andere Gründe?

POLLAK: Die Ressourcen sind ein Kriterium. Aber es wäre auch ein Ausweg, die Anzahl der Fälle zu verringern. Eine andere Frage ist, was ich mir im Ermittlungsverfahren anschaue. Wenn ich die Handydaten eines Jahrzehnts sichte, was im Normalfall unnötig ist, brauche ich eben länger. Und generell ist unser Justizsystem bei kleinen Fällen sehr effizient, für größere Fälle fehlen aber organi­satorische Voraussetzungen, die das Dienstrecht derzeit nicht zulässt.

Die angesprochene Menge an Handydaten findet oft auch den Weg in die Öffentlichkeit, obwohl sie mit dem Fall vielleicht gar nichts zu tun hat. Ließe sich das verhindern?

POLLAK: Ein Thema ist, dass Beschuldigte und Anwälte Informationen an die Medien geben dürfen, was in Verfahren mit häufig mehr als 100Beschuldigten fatal ist, wenn ich z. B. an den Ibiza Akt denke. Oft versteht man nicht, wieso alle im selben Akt sind, obwohl 98 Prozent ganz andere Beschuldigte betreffen. Man müsste die Zahl der Beschuldigten innerhalb eines Verfahrens reduzieren Auch ein Zitierverbot für gewisse Aktenbestandteile würde helfen.

Unternehmer, Manager und Betriebe beklagen den Reputationsverlust, der dadurch entstehen kann. Zu Recht?

PETSCHE: Ja, denn Betroffene sterben tatsächlich manchmal einen sozialen oder wirtschaftlichen Tod. Das gilt nicht nur für CEOs oder Banker, die ihre Fit­ and Properness verlieren können, sondern für jeden Wirtschaftstrei­benden, der z. B. in die Nähe eines Korruptionsverdachts gerückt wird auch wenn sich dieser am Ende als gar nicht stichhaltig herausstellt. Dazu kommen für die Betroffenen hohe Kosten für die Verteidigung, ohne dass es derzeit dafür einen fairen Kostenersatz gibt. Schon gar nicht, wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt wird.

Oft werden Ermittlungen öffentlich bewusst laut getrommelt, um sie für politische Zwecke zu nutzen. Damit muss man leben, oder?

POLLAK: Es ist schwer, zu verhindern, dass ein Ermittlungsverfahren für politische Interessen genutzt wird. In einer Demokratie wird das immer passieren. Ich frage mich aber schon, ob parallel zu einem Ermittlungsverfahren auch noch ein U­Ausschuss zulässig sein soll. Das finde ich rechtsstaatlich untragbar. Eine andere Frage ist die nach politischem Einfluss auf die Ermittlungen. Da glaube ich, dass natürlich auch Staatsanwälte von ihren Wertvorstellungen beeinflusst sind, würde aber keine direkten parteipolitischen Eingriffe in Entscheidungen unterstellen.

PETSCHE: Wobei ich meine: Wenn es eine offene und klar dokumentierte Weisung innerhalb einer Weisungskette gibt, kann man damit gut leben, weil dann am Ende auch eine klare politische Verantwortung herrscht. Problematischer ist, dass jetzt viele einen gespürten politischen Willen vermuten, dem sich der Justizapparat vermeintlich beugt. Das ist Gift für den Rechtsstaat.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten: Was sollte sich bis zum nächsten Wirtschaftskriminalitätsreport in der Praxis ändern?

POLLAK: Der wichtigste Wunsch ist eine kürzere Verfahrensdauer. Wenn ich einen zweiten frei habe: eine stärkere Zurückhaltung bei der Einleitung von Verfahren.

PETSCHE: Noch eine Anmerkung dazu: Die 2022 veröffentlichte Statistik zur durchschnittlichen Verfahrensdauer von unter sechs Monaten klingt super – sie beinhaltet aber leider nicht die Verfahren der Wirtschafts­ und Korruptionsstaatsanwaltschaft.

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